Jungfraujoch: Top of Europe mit halber Lunge

Auf über 3500 Meter nach Lungentumor

Wieso, weshalb, warum? Das sind wohl die Fragen die meistens als Erstes kommen, wenn ich von meinem Plan erzählt habe oder wie jetzt darüber berichte. Wie kam ich auf die Idee, nachdem ich einen Teil meiner Lunge durch den Krebs verloren habe, auf über 3500 Meter zu gehen und warum wollte ich das machen. Prinzipiell ist das recht einfach erklärt. Ob es für jeden verständlich ist, ist eine andere Sache.

 

Ich sehe mich auch ein wenig als Versuchskaninchen, denn über Menschen die nach Krebs auf Berge steigen oder einen Marathon laufen findet man viel. Aber über Leute die trotz weniger Lunge sich nun an solch eine Sportart heranwagen oder meinen sie müssen in große Höhen steigen, habe ich noch nichts gefunden. Das reizt mich auf jeden Fall.

 

Doch der Reihe nach. 

Eiger, Mönch und Jungfrau im Berner Oberland.
Eiger, Mönch, Jungfraujoch und Jungfrau - das Dreigestirn der Schweiz - ein malerischer Anblick.

Rückblick und neues Ziel:

2019 habe ich das erste Mal das Top of Europe - das Jungfraujoch - besucht. Damals mit kleinem, allerdings noch unentdecktem, Mitbewohner in meiner Lunge. Gerne wären wir damals als Familie zur Mönchsjochhütte gewandert. Doch zugegeben, wir alle spürten die Höhe und uns war schnell klar, dass der Weg durch den Schnee auf die Mönchsjochhütte hinauf mit vierjährigem Kind keine gute Idee wäre. Also liesen wir es bleiben. Es fuchste mich aber schon ganz schön, dass wir es nicht machen konnten. Schon damals wusste ich, dass ich noch einmal herkommen will und dann definitiv auf die Mönchsjochhütte auf 3657 Metern wandern möchte.

 

Familie auf dem Jungfraujoch mit Kleinkind
Bild aus 2019: damals als Familie am Topf of Europe - dem Jungfraujoch
Blick vom Jungfraujoch zur Jungfrau.
Blick vom Jungfraujoch zur Jungfrau.

Dass dies fast genau zwei Jahre später sein würde und dann sozusagen nur noch mit halber Lunge, das hätte ich natürlich nie gedacht. Im Mai 2020 wurde bei mir eine Bilobektomie durchgeführt, die Entfernung der zwei großen Lungenlappen rechts. Logischerweise verschwendete ich damals keinen Gedanken daran auf irgendeinen Berg zu steigen. Im Gegenteil, ich dachte Wandern, vor allem Bergwandern, werde ich nie wieder. Nachdem ich dem Tod zwei Mal von der Schippe besprungen bin, war ich froh überhaupt wieder fit zu werden.

 

Zudem hatte der Arzt mir bei der Diagnose gesagt: "Einen Marathon werden Sie nicht mehr laufen und auch auf den Mount Everest kommen Sie nicht mehr." Im ersten Moment dachte ich mir: laufen mag ich eh nicht und wer will heute schon noch auf den Everest?! Doch dieser Satz sollte mich ein halbes Jahr später noch einholen...

 

Wie ich auf die Idee kam auf hohe Berge zu steigen....

Buchtipp: Jon Krakauers in eisige Höhen.
Everest-Drama das begeistert und motiviert.

Als ich also ein halbes Jahr nach der OP und allen Komplikationen wieder langsam im Alltag angekommen war und zu Kräften gefunden hatte, fiel mir ein Buch in die Hände. Es war das Werk von Jon Krakauer: "In eisige Höhen". Das wohl bekannteste Buch über die große Tragödie am Mount Everest im Jahr 1996 bei dem 12 Bergsteiger starben.

 

Ich war so fasziniert von diesem Buch, dass ich es nicht nur regelrecht verschlang, sondern in Folge dessen mehrere Bücher über den Mount Everest, K2 und alle möglichen Bergdramen las. Die Berge hatten mich. Der Mount Everest hatte mich.

 

Wie war das? Auf Berge klettern ist nicht mehr? Hatte das der Arzt gesagt? Mit weniger Lunge geht sowas nicht!?

 

Das will ich sehen! in kürzester Zeit stand mein Plan. Ich will auf Berge steigen. Ich will 2021 auf das Jungfraujoch. Ich will sehen ob das mit halber Lunge zum Problem wird. Und so begann ich zu trainieren.

 

Täglich 11 000 Schritte und mehr. Bei Schnee, Regen und Sonnenschein. Mein Plan stand und ich verfolgte ihn eisern. Auch eine erneute Lungenentzündung samt Krankenhausaufenthalt im März 2021 konnte mich nicht stoppen. Selbst im Krankenhaus versuchte ich auf 5000 Schritte am Tag zu kommen. Und so langsam geriet selbst der Arzt mit der Everest-Aussage ins Trudeln: "Also ich bin mir sicher ins Base Camp schaffen Sie es auf jeden Fall." Das liegt auf 5364 Metern. Doch für mich zählte ja erst einmal das Jungfraujoch.


Die finale Vorbereitung:

Ende Juni ging es dann mit meiner finalen Vorbereitung los. Endlich ab in die Berge. Endlich mal ein wenig sich am Bergwandern versuchen. Hierzu hatte ich mir Samanun ausgesucht, denn das liegt bereits auf rund 1900 Metern Höhe. Perfekt also um ein Höhentraining zu absolvieren. Die ersten Tage spürte ich natürlich den Puls und die Sauerstoffsättigung sank ein wenig ab, aber Probleme bemerkte ich keine. Wir machten einige Wanderungen und ich kam knapp an die 3000 Meter heran. Die Tage waren perfekt. Ich gewann an Selbstvertrauen und Kraft und wusste ja, dass der breite Weg zur Mönchsjochhütte ausgenommen der Höhe keinerlei Anforderungen hat.


Der große Tag auf dem Jungfraujoch:

Unser Ausgangspunkt für meine Jungfraujoch-Aktion war Lauterbrunnen. Bereits 2019 waren wir hier gewesen. Es ist einfach ein traumhaft idyllischer, malerischer Ort. Die ersten Tage verbrachten wir gemeinsam mit einigen Touren, welche mir gleichermaßen ebenfalls zur weiteren Akklimatisierung dienten. Die lief, dank der Tage auf fast durchweg 1000 Metern oder mehr, wirklich sehr gut.

 

Das Wetter war leider sehr wechselhaft und nicht so beständig wie erhofft. Da je nach Wetterlage der Weg zur Mönchsjochhütte auch gesperrt sein kann musste ich das etwas im Auge behalten. Letztendlich fiel die Entscheidung auf den 12. Juli. Der Geburtstag meins verstorbenen Papas. Da wollten wir uns gemeinsam auf das Jungfraujoch begeben und ich dann alleine zur Mönchsjochhütte laufen. Doch wie es mit Kindern so ist, genau an dem Tag kam der kleine Mann nicht aus den Federn. Ich sah mein Projekt scheitern, denn für Nachmittag war Wind und schlechtes Wetter angekündigt. Jetzt oder nie hieß es also am frühen Morgen, denn alleine die Anreise von Lauterbunnen auf das Jungfraujoch dauert reine Fahrzeit fast 90 Minuten. Mit den Umstiegen ist man schnell bei über 2 Stunden und der Zug fährt nur stündlich... 

 

Ich stand also in den Start-Löchern, etwas aufgeregt und plötzlich war klar, ich muss alleine los. Denn mit Kind konnten dir die geplante Bahn um Uhr niemals bekommen. Also spurtete ich alleine los, noch schnell am Supermarkt vorbei um den Getränkevorrat aufzustocken. Ziemlich außer Atem bekam ich aber noch die Bahn und meine kleine Expedition - ja, so kam es mir in diesem Fall echt vor - konnte starten.

Zunächst legte sich meine Aufregung. Fleißig trank ich regelmäßig aus meiner Flasche. Denn viel Flüssigkeit ist gut gegen Höhenkrankheit. Also hatte ich bis zum ersten Umstieg an der "Kleinen Scheidegg" bereits über einen Liter getrunken und füllte mein Wasser wieder auf. 

 

Dann ging es weiter. Immer höher und es wurde spannender für mich. Denn langsam knackten wir die 3000 Meter. Und ein klein wenig schien ich das zu merken. Das Atmen fiel etwas schwerer, ich trank und trank und merkte, dass sicherlich auch die Aufregung ihren Teil beitrug.

 

Über den Halt an der Stelle "Eismeer" war ich sehr froh. Danach fielen die letzten Höhenmeter viel einfacher. Oben ausgestiegen war alles top. Ich fühlte mich fit. Die Aufregung war fast weg und es konnte losgehen.

Halt vor dem Jungfraujoch - mit Blick auf den Gletscher.
Halt vor dem Jungfraujoch - mit Blick auf den Gletscher.

Zugegeben, der eine oder andere überholte mich. Aber ich konzentrierte mich auf mein Tempo. Das Gestapfte im Schnee bergauf würde auf die Dauer schließlich ziemlich anstrengend nehmen. So nahm ich mir auch recht bald meine Trinkpausen. Das Wetter war sehr wechselhaft. Mal schwitze ich in der Sonne, dann pfiff wieder der eiskalte Wind um die Ohren. Wolken überall und die traumhafte Schneelandschaft. 

 

Schritt für Schritt ging es voran immer steiler der Weg. Und so manch eine(r) der mich anfangs überholt hatte, stand nun schwer schnaufend am Wegesrand oder drehte sogar erschöpft um. Ich verfolgte mein Ziel und als es wieder flacher wurde sah ich endlich die Mönchsjochhütte! Die letzten Meter legte ich fast schon leichtfüßig zurück. Und dann war ich da: auf der Mönchsjochütte auf 3657 Metern!

 

Ich hatte es in knapp 30 Minuten (ab Stollen-Ausgang) geschafft, also sogar unter der angegebenen Zeit. Ich war sowas von happy! Und etwas traurig zugleich, dass ich dieses Gefühl mit niemandem wirklich teilen konnte. Aber: genial!

Ich war sowas von voller Glück - es fiel mir schwer wieder zurück zu gehen. Ich fühlte mich so wohl. Ich wollte hier bleiben. Ich wollte das alles viel länger genießen. Doch mittlerweile sollten wohl auch meine zwei Männer auf dem Jungfraujoch angekommen sein. Also musste ich schweren Herzens zurück stapfen. 

 

Wir erkundeten abermals den Eispalast (und shoppen bei Lindt ;-) ), doch sehr viel mehr war nicht drin. Denn wie angekündigt zog das Wetter zu. Beim Blick nach draußen war alsbald nur noch eine weiße Wand zu erkennen. Dichte Wolken. Kein Ausblick mehr möglich. Während die Männer, zumindest der Große, dann schon bald wieder über leichte Kopfschmerzen klagte, hatte ich diese Mal keinerlei Probleme. Und so setzten wir uns in den nächsten Zug bergab. Zu diesem Zeitpunkt war der Ausgang zum Weg zur Mönchsjochhütte bereits geschlossen. Alles richtig gemacht: ich hatte mein Ziel erreicht.

 

Fazit und Ausblick:

Und nun? Ich muss gestehen, schon kurze Zeit später war es für mich gefühlt wie ein Spaziergang gewesen (keine Expedition mehr) und es stand fest: das war zu einfach. Nächstes Mal muss ich unbedingt richtig wandern! Seitdem ich weiß, dass ich mich bei guter Akklimatisierung in dieser Höhe gut bewegen kann, sind natürlich meine Anforderungen an mich selbst gestiegen. Jetzt möchte ich es mal auf einen 4000er wagen, denn ich bin mir sicher: mit guter Vorbereitung ist auch das möglich.

 

Doch erst stehen für 2022 noch zwei Dreitausender auf meiner Liste - seid gespannt!


Fakten zum Jungfraujoch:

  • Höchster Punkt: 3454 Meter
  • das Jungfraujoch ist ganzjährig geöffnet
  • das Jungfraujoch ist Gletschergebiet und damit hochalpines Gelände
  • im Sommer zur Hochsaison sind die Bahnen oft wochenlang im Voraus ausgebucht
  • Anreise über Lauterbrunnen oder Grindelwald (neue Eiger-Express-Bahn) möglich
  • Kosten: Erwachsene ab Lauterbrunnen/Grindelwald ca. 195 CHF/ Kinder ab ca. 20 CHF / Kinder bis 5 frei  

Fakten zum Weg zur Mönchsjochhütte:

  • Wegstrecke: ca. 2 Kilometer
  • Dauer: ca. 30-60 Minuten (one-way)
  • Schwierigkeitsgrad:  einfach - wird aber als T2 ausgeschrieben, da alpin.
  • Höchster Punkt: 3657 Meter
  • Höhenmeter: 196 hhm
  • Technik und Kondition: 2 und 4 (aufgrund der Höhe!) 
  • Ausrüstung: Stöcke sind förderlich, festes Schuhwerk
@halbelungevollepower Instagram
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Weitere - Tipps zum Jungfraujoch - Besuch:

  • achtet auch im Hochsommer auf entsprechende, warme und schützende, Kleidung. Nehmt wetterfeste Outdoor-Kleidung mit.
  • trinkt ausreichend. Die Flüssigkeitszufuhr ist in dieser Höhe sehr wichtig. Vor allem Wasser ist perfekt.
  • packt Knabberzeugs (Kohlenhydrate) und leichte Speisen ein.
  • achtet auf den entsprechenden UV-Schutz. Auch bei Minusgraden und Wolken ist die Sonneneinstrahlung gefährlich. 

Pressereise: Die Jungfrau-Region Tourismus AG hat mich bzw. uns bei dieser Unternehmung unterstützt und Tickets für das Jungfraujoch kostenlos zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank hierfür! Mich hat dies bei meiner Aktion jedoch nicht beeinflusst.


Mehr zu Lauterbrunnen und der Jungfrau-Region:


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Kommentare: 3
  • #1

    Silke Kleinhans (Freitag, 06 Mai 2022 09:11)

    Hallo Melanie, wahnsinn wie du das geschafft hast, an deinem Traum festgehalten hast und ihn dann umgesetzt hast. Du hast meinen absoluten Respekt! Toll geschrieben, habe mir das direkt auf meine Bucket Liste geschrieben. Von Süddeutschland ist das ja gar nicht wo weit weg.

    Liebe Grüße, Silke

  • #2

    Kind im Gepäck (Freitag, 13 Mai 2022 11:10)

    Liebe Silke,

    besten Dank. Ja, so wirklich weit ist es nicht. Ich finde es noch recht gut zu erreichen und auf einer Schweiz-Reise sollte diese Region definitiv nicht fehlen!

    Grüße

  • #3

    Camilo (Sonntag, 10 September 2023 22:07)

    Hallo Melanie,

    Erstmal Respekt für die Leistung. Ich kann dies ganz gut nachvollziehen, da mir ebenfalls die zwei oberen Lungenlappen entfernt wurden. Mein großes Ziel ist ein 2000 km Radtour nach Spanien in die Heimat meiner Eltern. Vor 14 Tagen waren wir auf über 2000 wandern. Hierbei sind vor allem die Anstiege immer wieder die Herausforderung. Mit entsprechender Ruhe und Konzentration hat aber auch das ganz gut geklappt. Was mir persönlich extrem schwer fällt ist das Joggen. Während ich auf dem Rad ganz gut voran komme, schaffe ich beim Joggen nur kurze Strecken. Ich kann mir nicht so richtig erklären, woran das liegen könnte. Auf der Suche nach einer besseren, optimierten Atmung mit halber Lunge bin ich nun auf deiner Seite gelandet. Hab bisher wenig Infos gefunden, die auf unsere Situation abzielen. Es gibt wohl nicht so viele Menschen, die sich nicht zufrieden damit geben, dass man mit einer halben Lunge noch leistungsfähig sein kann. Dein Bericht hat mich auf jeden Fall motiviert �.
    Liebe Grüße
    Camilo

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